Serie: „Woher komme ich?“

30. Januar 2019, Anke Fischer

Warum leben unsere Familien in Berlin und nicht mehr in dem Land, in dem unsere Muttersprachen gesprochen werden? Warum sind unsere Eltern nach Deutschland gekommen? Und wie war das für unsere Familien, Freunde und Verwandte, die eigene Kultur und die Heimat hinter sich zu lassen, um ein neues Leben zu wagen in einem Land, in dem alles irgendwie anders und fremd ist?
Im vergangenen Herbst stellten sich die Schülerinnen und Schüler der Klasse 5b, die sich aus elf Nationen zusammensetzt, diese Fragen. Sie interviewten ihre Eltern, sahen sich gemeinsam alte Fotos an und sprachen über die Vergangenheit. Die Kinder kannten die Geschichten der Eltern bis dahin nicht und entdeckten so einen wichtigen Teil der Vergangenheit ihrer Familien.
Sie verfassten Texte und lasen diese ihrer Klasse über das Klassenzimmer-Radio vor.
Regelmäßig veröffentlicht die Schülerzeitung „Carlchen“ an dieser Stelle die Familiengeschichten und Anekdoten der Kinder.

Teil 4: Tuana

Die Kennenlern- und Trennungsgeschichte meiner Eltern

Das Bild, das vor mir liegt, zeigt meine Eltern beim Fotografen. Sie haben sich im Jahr 2005 kennengelernt. Es war in der Türkei. Eigentlich ist mein Vater aus Turkmenistan. Sie haben sich auf dem Rummel kennengelernt. Sie haben sich verliebt und haben sich immer dort getroffen und die Nummern ausgetauscht. Meine Eltern haben sich immer mehr verliebt und haben geheiratet. Und nachdem ich geboren bin, wollte mein Vater mich und meinen Bruder für sich selbst, dann haben sich meine Eltern scheiden lassen Wir konnten nicht mehr zurück, weil wenn man länger als 6 Monate in der Türkei lebt,dann darf man nicht mehr zurück.Und dann mussten wir flüchten und zwar nach Deutschland, weil mein Vater die ganze Zeit mich und meinen Bruder für sich haben wollte, aber er ist nicht mitgekommen. Wir sind nach Deutschland gekommen, weil man hier frei ist und Rechte hat. Und nach einiger Zeit ist meine ganze Familie nach Deutschland gereist. Und ich bin glücklich in Deutschland. Nach einiger Zeit wollte mein Vater Kontakt aufbauen, ich hab auch Kontakt aufgenommen. Aber dann hat er gar nicht mehr geantwortet. Das macht mich traurig.

Teil 4: Yunus

Verloren auf den Straßen von Bangladesh

Auf meinem Foto sieht man, wie eine Rikscha durch das Wasser fährt und es erinnert daran, wie meine Eltern und mein Onkel zu meiner Tante gefahren sind. Damals, als sie noch in Bangladesh lebten. Sie sind mit einem Tuk Tuk und einer Rikscha gefahren. Ein Tuk Tuk ist ein kleines Auto mit drei Rädern und eine Rikscha ist ein Fahrrad mit drei Rädern, wo hinten noch Platz zum Sitzen für ungefähr zwei Personen ist. Dort, wo meine Tante wohnt, hatte es sehr stark geregnet. Das Wasser sammelte sich auf der Straße und auf dem Gehweg wie bei einer Überschwemmung und war kniehoch. Als sie da waren, sind mein Vater und mein Onkel zur Moschee gegangen und meine Mutter ist hoch zu meiner Tante gegangen. Als sie oben waren, hat sich meine Tante mit meiner Mutter unterhalten. Dann haben sie gegessen. Zum Essen gab es Reis mit Hühnchenfleisch, Kuhfleisch, Fisch und Salat. Zum Nachtisch gab es Yoghurt und Obst. Danach sind mein Vater und mein Onkel zurückgekommen und sie haben auch gegessen. Sie haben sich miteinander unterhalten. Als sie nach Hause wollten, waren die Straßen immer noch überflutet. Mein Onkel ist ins Wasser gegangen, um zwei Rikschas zu holen. Mein Vater und meine Mutter saßen in einer und mein Onkel saß allein in der zweiten Rikscha. Mein Onkel sagte den Fahrern, wo sie hinfahren sollten. Die Rikscha von meinen Eltern fuhr vor und als sie da waren, haben sie auf meinen Onkel gewartet – aber er kam nicht.

Meine Eltern hatten damals noch kein Handy. Zum Glück hatte der Rikscha-Fahrer aber eins und hat den anderen Rikscha-Fahrer angerufen. Dann sagte mein Onkel wo er war. Schließlich haben sich alle wieder gefunden und sind dann mit einem Tuk Tuk alle zusammen nach Hause gefahren.

Teil 3: Achia

Die schlimme Familienzeit

Auf meinem Foto sieht man: Meinen Opa, meine Oma und ihre Freundin, die auf einem grünen Sofa sitzen.Vor ihnen ist ein durchsichtiger Glastisch. Neben ihnen ist ein Schrank mit CDs. Und hinter ihnen ist ein Bild, auf dem eine verzierte Vase zu sehen ist. Mein Opa spielt eine sehr große Rolle in meinem Leben. An einem Freitag, ich war 9 Jahre alt, ging ich nach Hause und ahnte nichts. Ich klingelte zu Hause – doch niemand öffnete. Da hab ich Angst bekommen, dass meiner Familie etwas passiert ist. Zwei Nachbarn hörten mich weinen und kamen raus. Sie haben mich getröstet. Sie haben mich in ihr Haus gebeten. Ich habe mir in der Wohnung sehr viele Taschentücher genommen. Nach einer Weile kamen meine Eltern. Sie haben mir mitgeteilt, dass meine Mutter nach Bangladesch fliegen wird, weil sie meinen Opa vermisst. Wir sind in die Wohnung rein gegangen und es klingelte am Telefon. Mit trauriger Stimme sagte jemand: „Dein Vater ist gestorben.“ Meine Mutter hat sofort geweint. Dann hat jeder angefangen zu weinen. Meine Mutter hat eine Trauerfeier veranstaltet. Ein paar Monate später hat sie alles verkraftet. Aber der nächste Schock ließ nicht lange auf sich warten. Meine Mutter musste ins Krankenhaus gehen, weil sie Krebs hat. Sie wollten noch Tests machen. Jetzt geht es ihr grauenvoller denn je. Die schlimmste Zeit erlebe ich jetzt.

Teil 2: Ahmad

Flucht nach Deutschland

Ich bin im Jahr 2007 im Libanon geboren. Dort war das Leben nicht so gut. Und mein Onkel hatte eine Idee – er hat meiner Mutter gesagt, dass wir nach Deutschland ziehen könnten. Meine Mutter hat: „Vielleicht!“ gesagt . Eines Tages, als wir dort Sommerferien hatten, hat meine Mutter gesagt, dass wir nach Italien fliegen, um Urlaub zu machen. Das stimmte aber nicht ganz. In Wirklichkeit wollten wir nach Deutschland. Zuerst sind wir mit einem Schiff nach Italien gefahren. Wir haben zuerst bei meinem Onkel geschlafen. Am dritten Tag sind wir um 11:30 Uhr los gegangen, um nach Deutschland weiterzureisen. Und um 3:30 Uhr nachts sind wir angekommen. Irgendwann kamen wir in Berlin an. Ich kann mich nicht mehr so gut erinnern an die Zeit. Damals wusste ich zum Beispiel gar nicht, dass eine U-Bahn unter der Erde fährt. Ich bin mit meiner Mutter und meiner Tante zur U-Bahn gegangen. Dann habe ich gefragt: ,,Verreisen wir noch mal, ohne die Anderen und ohne Koffer?“ Ich war besorgt. Seit 3 Jahren bin ich jetzt in Deutschland.
Ich kann mich ein bisschen an den Libanon erinnern . Ich würde gerne wiedermal nach Hause in den Libanon fliegen, weil es da viele schöne Sachen gibt. Besonders gefällt mir das Meer, die Leute, ich vermisse unser altes Haus, meine Freunde und die Spielplätze.

Teil 1: Hadi

Meine Eltern

Mein Vater ist im Jahr 1991 nach Deutschland gekommen, weil es im Libanon Krieg gab und Politiker Streitereien hatten. Es war nicht mehr sicher genug für die Familie. Bis 1993 hat mein Vater in Leipzig gelebt und hat dann eine Aufenthaltserlaubnis bekommen. Danach ist mein Vater nach Berlin gezogen, weil fast die ganze Familie inzwischen hier lebte. In der gleichen Zeit hat er angefangen, als Auto-Lackierer zu arbeiten. 1997 ist mein Vater dann in den Libanon gereist, weil er seine Familie so sehr vermisst hat, die dort geblieben war. Was für ein Glück. Denn als mein Vater im Libanon angekommen ist, hat er sich in meine Mutter verliebt. 1998 hat mein Vater meine Mutter nach Deutschland eingeladen und noch im selben Jahr haben meine Eltern geheiratet. Dann hat meine Mutter im September 1999 meinen Bruder geboren. Dann ist im Oktober 2001 meine Schwester geboren und dann bin ich am 02. Januar 2008 geboren. Und jetzt sind wir eine glückliche Familie und zufrieden, dass wir in Deutschland leben.